Compiz contra Aero

Windows oder Linux. Um kein anderes Thema aus dem Bereich Software können sich die Gemüter mehr erhitzen. Trolle jagen verbitterte Anhänger. Windows-Jünger kämpfen gegen Linux-User und umgekehrt. Sehr oft geht es dabei nur um persönliche Präferenzen oder schlichtweg um Ideologien. Doch bei manchen Themen hat manchmal Microsoft oder Linux einfach technisch die Nase vorn. Auch wenn dies (wieder) einige Trolle nicht wahrhaben wollen. Hier und heute geht es um den Vergleich der beiden Desktopoberflächen: Microsoft Aero (Akronym für „Authentic, Energetic, Reflective, Open“) tritt an gegen Compiz/Beryl.

Aero?
Aero ist Bestandteil des neuen Betriebsystems Windows Vista. Es ist einzeln leider nicht erhältlich, da es als Hauptkriterium eine DirectX-10-Schnittstelle voraussetzt. Zudem ist Aero nur Bestandteil einiger Vista-Versionen: Home Premium, Business, Ultimate und Enterprise. Die restlichen Vista-Ausgaben müssen ohne Aero auskommen. Grund der Überlegung: Microsoft meint, dass nur leistungsfähige Computer eine Aero-Oberfläche verkraften würden. Und genau für jene leistungsstarken PCs sind die vier oben genannten Versionen gedacht.
Aero ist ein neu entwickelter vektorbasierter Oberflächenbeschleuniger und setzt auf die 3D-Effekte modernen Grafikkartentreiber – DirectX10 Kompatibilität vorausgesetzt. Aero ist im Grunde nur für die Fensterrahmeneffekte zuständig. Der Fokus liegt in der freien Verwaltung von Fensterrahmen sowie ein paar zusätzlichen Effekten beim Minimieren/Maximieren und zeichnet sich für den neuen Taskmanager und die Taskbar verantwortlich. Funktionell könnte Aero eindeutig mehr, denn die Effekte sind technisch bedingt nicht auf diese Aufgaben beschränkt. Die Hauptaugenmerke von Aero konzentrieren sich dennoch auf drei wesentliche Aufgaben: Transparenzeffekt, Windows Flip und Windows Flip 3D.
Aero-Glas: ist ein neues Oberflächendesign mit durchsichtige Fensterrahmen.
Dynamische Fenster: ein Animationseffekt sorgt beim Maximieren oder Minimieren für ein „weicheres“ Fensterverhalten.
Windows Flip: ist ein aufgebohrter Taskmanager, wobei die einzelnen Programme in einer kleinen Live-Vorschau zu sehen sind.
Windows Flip 3D: der selbe Effekt in Grün mit dem Unterschied, dass die Vorschauen der einzelnen Programme hintereinander liegen.
Live Taskleiste: auch bei der Taskleiste kommen Live-Ansichten der Programme ins Spiel. Ein Programm muss dazu nicht mehr extra maximiert werden, um den Inhalt sehen zu können.

Compiz, Beryl und Fusion?
Beryl ist als Zweig des Projektes Compiz entstanden. Beide setzen auf die OpenGL-Engine, welche Bestandteil neuerer Grafikkartentreiber unter Linux (X-Server XGL oder AIGLX) ist. Die vektorbasierten 3D-Beschleunigungsoberflächen setzen bewusst auf den offenen Standard OpenGL, um in jeder Linux-Distribution eingesetzt werden zu können; vorausgesetzt, der Grafiktreiber unterstützt die 3D-Effekte.
Beryl war technisch gesehen weiter entwickelt als Compiz, konnte sich aber anhand fehlender Unterstützung nicht weiter fortsetzen. Um die erweiterten Fähigkeiten von Beryl nicht sterben zu lassen, hat sich die Community dazu entschieden, beide Projekte in einem neuen gemeinsamen Projekt weiterzuführen. Entstanden ist die neue alte Oberfläche Compiz Fusion.
Compiz ist ein Fenstermanager wie kdm, metacity, oder andere und kann daher theoretisch auf jedem X-Server betrieben werden. Da Compiz modular aufgebaut ist, kann es durch unzählige Plugins und damit durch vielfältige Effekte erweitert werden. Hier die wichtigsten.
Transparenz: im Grunde kann mit Compiz alles transparent gesetzt werden; vom Fensterrahmen über ganze Fenster bis hin zum Desktop selbst. Der Grad der Transparenz lässt sich bspw. bei Fenster mit zwei Klicks frei einstellen. Derart durchsichtig geschaltete Fenster lassen darunter liegende Programme durchscheinen.
Window-Effekte: Fenster können beim Bewegen ‚wobbeln‘ (wackeln) oder bestimmte Effekte beim Maximieren/Minimieren übernehmen. Diese reichen vom normalen Fade-in/out über Lammellen- oder Burn-Effekt bis hin zu teilweise sinnfreien 3D-Spielereien. Auch lassen sich bspw. die RGB-Werte jedes einzelnen Fensters regeln.
Zoom: da der komplette Desktop die OpenGL-Engine durchläuft, kann die ganze Oberfläche weg- oder hergezoomt werden.
3D-Desktop: unter Linux kann man stets mehrere Desktops nebeneinander betreiben, der Standard liegt bei 4 Arbeitsflächen. Mit dem 3D-Desktop wechselt man wie bei einem 3D-Würfel unter den unterschiedlichen Arbeitsflächen und sieht beim Drehen deren Live-Abbildungen.
Live-Taskswitcher: der Taskswitcher zeigt miniaturisierte Live-Bilder der geöffneten Programme.
Live-Taskbar
: in der Funktion dem Live-Taskswitcher gleichbedeutend.
.. und noch unzählig mehr. So gibt es u.a. die witzigen aber zugleich auch sinnlosen Effekte „Wassertropfen“ oder „Schnee“ auf dem Desktop. Für die Funktionalität machen solche Spielereien natürlich keinen Sinn, sie zeigen allerdings, was technisch mit Compiz möglich ist.

Probleme – hier und da
Neue Techniken bergen meist auch ihre Probleme. So kämpfen Aero als auch Compiz mit kleinen oder größeren Startschwierigkeiten.
Aero Glass – nicht für alles
Microsoft hält sein Aero für ein besonders exklusives Gut. Dies hat zum einen marketingstrategische Gründe, zum anderen ist es die Softwarearchitektur, welche Aero öfters mal ein Bein stellt. Alle Fenster unter Windows (Vista) werden vom Desktop Window Manager (DWM) verwaltet. Dieser DWM regelt auch, ob ein Programm Aero-tauglich ist oder nicht. Programme, welche nicht kompatibel sind, werden in den Standard-Anzeigemodus versetzt.
Programme, welche exklusiv den DWM für sich beanspruchen, schalten notfalls in den „Vista Standard“ oder im schlimmsten Fall gar in den „Vista Basis“ Modus. Von Aero Glass ist in dann nichts mehr zu sehen.
Compiz Fusion – complizierte Function
Auch Compiz ist nicht vor Fehlern befreit. Wenn der Grafikkartentreiber nicht mit der X-Server Mittelschicht XGL bzw. AIGLX hormonisiert, kann dies zu einem Absturz des X-Servers führen. Im schlimmsten Fall landet man danach wieder beim Anmeldefenster. Zudem ist Compiz, wie jedes andere Linux-Programm, distributionsabhängig. Wer sich also die Mühe des Selber-Kompilierens ersparen möchte, muss darauf hoffen, dass der Distributor die Compiz-Pakete in seinen Quellen mit anbietet. Darüber hinaus ist die Einrichtung nicht ganz einfach. Es gibt schlichtweg zu viele Konfigurationsmöglichkeiten. Dies fängt bei der Auswahl der unterschiedlichen Fensterdekorateure an (Emerald, Aquamarine, uvm.) und endet bei den reichhaltigen Einstellungen der einzelnen Plugins (Wobble-, Fade, Desktop-Effekte, usw.).
Ein Kritikpunkt darf nicht außer Acht gelassen werden. So ist es für den Einsatz von Compiz Fusion nicht ganz unerheblich, ob man eine Grafikkarte von Nvidia oder AMD-ATI besitzt. Beide Hersteller haben ihre eigenen Treiber und damit auch ihre eigenen Präferenzen. Nvidia läuft nur im Zusammenspiel mit XGL, AMD-ATI hingegen besser mit AIGLX. Für Einsteiger ist es somit nicht ganz einfach, in diesem Dschungel durchzublicken.
Doch Besserung ist in Sicht. Unter der Vorherrschaft von Novell entwickelt sich Compiz Fusion schnell weiter. Die Einrichtung und Konfiguration konnte bis dato bereits auf ein paar Klicks reduziert werden.

Der Bessere gewinnt?
Müsste man Punkte für die Leistungsfähigkeit, die Kompatibilität und den Funktionsumfang vergeben, wäre Compiz Fusion der eindeutige Sieger. Da allerdings Aero Glass sich nicht auf Linux portieren lässt und Compiz Fusion auf einem Windows-System keinen Sinn macht, entscheidet sich der Anwender bereits mit der Auswahl des Betriebsystems für seine Oberfläche. Unter die 3D-Desktopbeschleuniger mischt sich noch Quartz (Extreme) aus dem Macintosh Betriebssystem OS X.
Es ist nicht von Nachteil, wenn sich drei gewichtige Fenstermanager nebeneinander entwickeln. So hat jedes System die Möglichkeit, die besten Funktionen vom anderen zu adaptieren. Microsoft hat dies bereits mit Aero Glass trefflich vorgeführt; Aqua lässt grüßen.

Das Rennen ist weiterhin offen. Compiz Fusion erobert gerade alle gängigen Linux-Distributionen. Aqua ist bereits seit mehreren OS X Generationen im Einsatz und wird stets weiterentwickelt. Und bei Microsoft hat der Kampf um die beste Bedienoberfläche mit Aero erst begonnen. Da die technischen Möglichkeiten von Aero erst zu einem Bruchteil genutzt werden, ist hier noch mit dem größten (Aufhol-)Potential zu rechnen.

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