Viele Hunderttausende Menschen in Deutschland suchen einen Job, finden aber leider keinen. Es gibt allerdings auch genügend Bürger, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben. Die von Thilo Sarrazin und Kollegen gern als Sozialschmarotzer bezeichnete Klientel nimmt mit dieser passiven Haltung den anderen Arbeitssuchenden keinen Arbeitsplatz weg. Dies ist schon einmal Fakt. Doch was machen die vielen Arbeitslosen falsch, dass sie über Monate oder gar Jahre keine (neue) Arbeit finden? Es ist wohl nicht nur die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt; in vielen Fällen ist es eine falsche Erwartungshaltung an den Staat. Und diese fängt schon bei ganz grundsätzlichen Dingen an.
1927 kam man in Deutschland auf die grandiose Idee, das Gesetz zur Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu erlassen. Eine neue, bedeutende Säule des Sozialstaates war geboren. Im Jahre 1957 folgte die „Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung“ in Nürnberg. 1969 wurde diese umbenannt in „Bundesanstalt für Arbeit“. Doch wie so alles, hat auch dieses Gesetz so seine Schattenseiten.
Es ist grundsätzlich eine wunderbare Idee, dass man bei einer staatlichen Einrichtung sich nach offenen Arbeitsstellen erkundigen kann. Noch besser ist es für sozial schwache Personen, dass ihnen finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite zugesichert wird. Wer arbeitslos ist, sollte zumindest so viel Geld vom Staat erhalten, damit er/sie über die Runden kommt. Denn schließlich ist jeder von uns ein Teil der Wirtschaftsökonomie. Menschen die kein Geld zum Ausgeben haben, beeinflussen die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes negativ.
Die heutige „Bundesagentur für Arbeit“ ist mehr als nur eine schnöde Arbeitsvermittlung. Sie ist Lenk- und Denkzentrale für bundesweite Beschäftigungsmaßnahmen. Sie ist Schaltzentrale für den Kontakt zwischen Firmen, Staat und Arbeitssuchenden. Sie vergibt an Unternehmer das Kurzarbeitergeld und vermittelt mittlerweile dutzende Einrichtungen, bei der Menschen im untersten Lohnsegment beschäftigt werden – Stichwort „Neue Heimat“. Die „Bundesagentur für Arbeit“ ist zu einem erheblichen Teil selbst schuld an der Bildung einer Parallelgesellschaft, die monatlich gerade so viel Geld hat, dass es zum Überleben reicht.
Doch wie sieht es aus mit den Menschen, die liebend gern arbeiten würden? Die müssen seit ein paar Jahren beim Jobcenter nach Arbeit fragen. Der Name „Jobcenter“ klingt modern und aktiv, doch dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass man es immer noch mit einer staatlichen Einrichtung zu tun hat. Man wird doch nur verwaltet. Und die viel gelobte Effektivität des Jobcenters besteht nur darin, jeden Monat möglichst viele Fälle der Hartz-IV-Bezieher zu bearbeiten. Wer ernsthaft einen Job sucht, sollte sich möglichst selbst auf die Suche nach einem machen. Doch genau an dieser Stelle beginnt die falsche Erwartungshaltung.
Es hat sich in die Köpfe vieler Bürger eingebrannt: der Staat ist für die Beschaffung von Arbeit zuständig. So wie man monatlich sein ALG-2 ausgezahlt bekommt, soll und muss der Staat auch bei der Arbeitssuche helfen. Helfen kann das Jobcenter bei der Arbeitssuche sicherlich, doch ohne eigenen Antrieb wird wohl jede Arbeitsvermittlung im Sande verlaufen.
Es ist mühselig nach den Gründen zu suchen, warum Menschen in diese passive Rolle verfallen. Zum einen ist sicherlich das Auftreten des Staates nicht ganz unschuldig. Durch die vielen Behörden und Vorschriften verfällt man leicht in die Rolle des Bittstellers. In jeder Behörde wird quasi nur die Akte verwaltet. Die Person – als Mensch – wird nur äußerst selten wahrgenommen und mit in die Arbeit einbezogen. Und da so viele unterschiedliche Menschen die persönlichen Akten verwalten, kommt man immer weniger in die Bedrängnis, selbst aktiv zu werden.
In meinem Bekanntenkreis kenne ich viele Personen, welche liebend gern (längerfristig) arbeiten würden. Nun könnte man boshaft sagen: lieber nicht, denn dann werden ja zwangsweise andere dafür entlassen. Doch mir geht es hier und jetzt nur um die Suche nach einer Arbeit. Wieso finden diese Personen keine Arbeit? Die Antwort ist ganz einfach: weil sie sich selbst nicht bewegen. Sie hoffen monatlich darauf, dass jemand vom Jobcenter zu ihnen kommt, ihnen die Hand schüttelt und sagt: „Freut mich für Sie. Ich habe die ideale Arbeitsstelle für Ihre Ansprüche und Anforderungen gefunden. Und das Ganze nur 5 km von Ihrer Wohnung entfernt.“ Doch dieser Tag wird wohl bei keinem jemals kommen. Denn flattert mal ab und an ein Arbeitsangebot ins Haus, gibt es viele Gründe die dagegen sprechen: zu weit weg, zu gering bezahlt, die falschen Anforderungen, das falsche Sachgebiet, usw. Also wartet man (un)geduldig weiter auf den Tag, an dem der Betreuer vom Jobcenter an der Tür klingelt. Eventuell wäre aber die passende Arbeitsstelle vorhanden; doch wenn keiner danach sucht, wird sie keiner finden. Vom Jobcenter zu verlangen, dass genau jene passende Arbeitsstelle einem präsentiert wird, klingt ein bisschen nach blinder Naivität.
Es muss nicht unbedingt die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle sein. Auf allen anderen Gebieten der Arbeit – Ausbildung, Umschulung, Weiterbildung – verhält es sich nicht anders. Die Menschen haben einfach eine falsche Vorstellung bzw. Erwartung an das Jobcenter. Man wird meist nicht grundlos arbeitslos, also hat der Staat gefälligst dafür zu sorgen, dass man auch wieder Arbeit hat. Ein Weg dahin sind die vielen Möglichkeiten zur Bildung. Ein Weg ist eine reguläre Ausbildung (auf dem ersten Arbeitsmarkt) oder der Besuch einer Schule. Doch auch der Staat bietet hierzu diverse Möglichkeiten an. Dies beginnt beim einfachen Bewerbungstraining und endet bei solch abstrusen Methoden wie der sanktionierten Umschulung. Wer sich einer Umschulung widersetzt, dem werden die Sozialleistungen gekürzt. Eine wunderbare Vorraussetzungen für die positive Mitarbeit des Probanden.
Was kann sich ändern? Was muss sich ändern? Im Prinzip ist das Ganze ein Henne-Ei-Problem. Es müssten sich beide Seiten ändern. Die Arbeitssuchenden sollten wieder mehr Eigenaktivität beweisen und der Staat sollte sich beim Thema Arbeit einen deutlichen Schritt zurück bewegen. Doch so wird es nicht kommen. Die Arbeitssuchenden genießen in weiten Stücken das Entgegenkommen des Staates und die finanzielle sowie menschliche Unterstützung. Da jeder von uns liebend gern den bequemen Weg geht, ist eine Aufforderung zu mehr eigener Aktivität wohl die falsche Vorgehensweise.
Den Staat zu weniger Aktivitäten auf dem Arbeitsmarkt auf zu fordern, ist ebenso fast unmöglich. Den staatlichen Einrichtungen Arbeitsagentur für Arbeit und Jobcenter ist sehr viel daran gelegen, den Arbeitsmarkt und die Beschäftigten größtmöglich zu lenken und zu kontrollieren. Nur dadurch lässt sich eine ganze Gesellschaft nach den Wünschen der Politik (und der Wirtschaft?) lenken und steuern.
Den Arbeitssuchenden ist weniger der Vorwurf zu machen, dass sie sich nicht korrekt verhalten würden. Sie nutzen das System nur bis an die möglichen Grenzen hin aus. Viel eher kann dem Staat unterstellt werden, dass er sich selbst ein fatales System aus Kontrolle und Lenkung auf dem Arbeitsmarkt geschaffen hat. Die bösen Arbeitsgeister die ich rief …
Ein sehr ansprechender Artikel. Mich hat das sowohl zum Nachdenken als auch zum Kopfschütteln angeregt. Traurig ist, dass das angesprochene „Henne-Ei-Problem“ dem Nagel auf den Kopf trifft — und leider die Arbeitssuchenden die Leidtragenden sind.