Deutschland und seine Guttenberg-Sorgen

Wenn die Presse nichts Wichtiges zu berichten hat, greift sie zur Schlammschlacht-Packung. Seit Tagen bereits gibt es in Deutschland anscheinend kein wichtigeres Thema als eine nicht korrekt erarbeitete Doktorarbeit eines führendes, bayrischen Politikers. Noch vor Wochen haben die Speichellecker der unterschiedlichsten Verlage unseren Herrn Verteidigungsminister als „Darling der Presse“ bezeichnet. Zuletzt ist zwar die Guttenberg-Stephanie mit ihrer RTL2-Show etwas in Ungnade gefallen. Auch „Mr. Teflon himself“ wäre besser beraten gewesen, das Interview mit J.B. Kerner auf Sat-1 in Afghanistan nicht geführt zu haben. Doch im Grunde war und ist der Politiker mit den gefühlten 20 Vornamen immer noch Publikumsliebling Nummer 1.

Diesem Druck konnte sich wohl auch die ARD nicht entziehen. Obwohl am selben Abend die erste von sieben Landtagswahlen im Jahr 2011 ihr überraschendes Ende fand,  hatte man bei Anne Will kein besseres Thema zu diskutieren als die Dissertation von und zu Herrn Guttenberg. Was soll man machen. Die SPD in Hamburg hat über 20 Prozent Wählerstimmen hinzu gewonnen. Die Guttenberg’sche Partei, die CDU, hat dagegen über 20 Prozent verloren. Da wäre viel Gesprächsstoff vorhanden gewesen. Doch in Deutschland plagt man sich seit Tagen mit einem (angeblichen) Plagiat. Man könnte es blinden Boulevard-Journalismus nennen. Oder dies was es eigentlich ist: krankes, hirndebiles Sinnlosgequatsche. Und das schlimme ist, den TV-Zuschauer interessieren solche Schmonzetten auch noch mehr als die kleinrevolutionären Wahlergebnisse aus Hamburg.

Das Medienmagazin DWDL liefert dazu die knallharten Fakten. Die Wahlsondersendungen auf der ARD schauten im Schnitt knapp über 10 Prozent der TV-Konsumenten. Den besten Wert zur Wahl erreichte ein Tagesthemen-Extra um 21:45 Uhr mit 14 Prozent. Doch aller Wichtigkeit des Tages zum Trotz erreichte das seichte Boulevard-Theater bei Anne Will den Höchstwert von knapp 17 Prozent Marktanteil. Damit erreichte die Talkshow zudem ihren Jahreshöchstwert.
Schon im alten Rom hieß es „panem et circenses“ („Brot und Zirkusspiele“). Was interessieren die wichtigen Dinge im Leben, wenn man auch bei bunter Unterhaltung die nötige Spannung hat. Hat Herr Guttenberg nun richtig zitiert oder nicht und muss er seinen Doktortitel abgeben? Man brauchte eine knappe Stunde um auf das vorhersehbare Ergebnis zu kommen: ja und nein.

Mir möchte es nicht in den Kopf gehen, wie man bei der ARD eine komplette Stunde für solch ein Thema reservieren konnte. Was kommt als Nächstes? Trägt Herr Westerwelle heimlich rote Krawatten? Hat Frau Merkel eine Diät gemacht? Klar interessiert sich der Couch-Potato lieber für die seichten Thema des Lebens. Doch gerade bei einer solch interessanten Wahl in Hamburg wie gestern Abend, ist es mehr als sträflich, den Boulevardthemen den Vortritt zu gewähren. Die Redaktion der Sendung „Anne Will“ hätte den nötigen Weitblick aufbringen und das Thema „Guttenbergs Doktorarbeit“ auf die lange Bank schieben müssen. Denn da gehört sie eigentlich auch hin.

Das Thema geistert bereits seit Tagen durch fast alle Verlagshäuser. Doch eine Erkenntnis vermisse ich bis jetzt: was ist mit den vielen anderen Doktorarbeiten, welche auf halb-korrekte oder gar komplett illegale Art und Weise entstanden sind? Man glaubt doch in den Redaktionen nicht ernsthaft, dass nur unser Herr Guttenberg (eventuell) etwas geschummelt hat. Wie viele Frauen mussten sich etwas tiefer bücken, um an den nötigen Doktortitel zu kommen? Wie viele haben ihren akademischen Grad im In- oder Ausland erkauft? Wie viele schreiben ihre Dissertation nicht selbst?
Um es mit Heinrich Heine zu sagen: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ (Zitat)

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4 Kommentare

  1. Sorry, natürlich haben wir andere Themen. Aber ist Betrug eines Ministers denn kein wichtiges Thema? Die Verarsche von ehrlichen Studenten, indem man denen zeigt, dass man auch mit c/p summa cum laude erhält? Dass Bildung und Wissenschaft in den Dreck gezogen werden? Abgeschrieben haben wir alle irgendwann, aber irgendwann haben wir auch kapiert, dass das unfair ist. Und verboten. Wenn Politiker tun dürfen, was ihnen gerade selbst so in den Sinn kommt, haben wir bald italienische Verhältnisse. Und? Nimmt die Politik in Italien noch jemand ernst? Nimmt die Regierung dort noch jemand ernst? Sorry, ich weigere mich, einen Minister mit meinen Steuergeldern zu bezahlen, der schon immer gelogen hat. Hat er nicht als Neu-Wirtschaftsminister behauptet, Geschäftsführer der Guttenberg GmbH gewesen zu sein? Gelogen! Nicht mehr und nicht weniger. Der Mann ist ein Lügner, ein Betrüger, er ist peinlich und lächerlich. Er gehört entlassen! Wie jeder Arbeitnehmer entlassen wird, der mit gefälschtem Lebenslauf und plagiiertem Titel einen Job antritt.

  2. @Gina

    Er gehört entlassen!

    Der war gut. Wie naiv läufst Du eigentlich sonst durch die Welt? Wenn jeder entlassen werden würde, weil er hier oder da mal minder oder schwerer gelogen hat, dann würde in jedem Parlamentssaal nur noch die Putzfrau kalt durch wischen.
    Du kannst ja eine Riege 3-Jähriger an die Macht lassen. Die sagen dann auch die Wahrheit, weil sie das Lügen noch nicht antrainiert haben.

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