Mit dem Internet wird immer wieder der Untergang der Wissensgesellschaft beschrieben. Die im Internet gespeicherten Informationen seien flüchtig. Die im Internet gespeicherten Informationen hätten weniger Wahrheitsgehalt als in Zeitungen abgedruckte Meldungen. Und das im Internet gespeicherte Wissen beruhe nur auf Copy&Paste. Was im Internet steht, wird von vielen also automatisch richtig empfunden. Doch nur die in Büchern „gespeicherte“ Information ist wirklich „proofed and verified„. Was für ein Irrglaube.
Heute hat Sascha Lobo dazu einen Beitrag auf Spiegel-Online veröffentlicht: Desinformation Im Netz der Besserwisser. Er beginnt seinen Beitrag mit dem alten Beispiel von Aristoteles, der 350 vor Christus behauptete, Fliegen hätten 4 Beine. Die Entdeckung wurde in geschriebener und mündlicher Form von Generation zu Generation weiter getragen. Zitat: „Bis ins späte Mittelalter hielt sich deshalb in vielen Schriften über die Biologie die Behauptung, Fliegen hätten vier Beine.“ Wir halten also fest: was in Büchern steht, ist nicht automatisch richtig.
In weiteren Verlauf beschäftigt sich Herr Lobo mit den Gefahren im Internet. Viele selbsternannte Experten ergeben noch keine Wahrheit. Und unser Wissen des 21. Jahrhunderts wäre nur eine Ansammlung von Suchanfragen. Wir suchen im Internet und finden eine Informationsquelle. Fertig ist das selbst gebaute Wissen. Zitat: „Damit fällt es häufig in die gefährlichste Kategorie des Halbwissens: das vermeintlich objektive, tatsächlich aber hochsubjektive und nur durch entsprechende Quellenauswahl bestätigte Wissen.“ Wir halten also fest: was im Internet steht, ist nicht automatisch richtig.
Was nun Herr Lobo? Sie haben Ihre eigene Aussage ad absurdum geführt. Eigentlich wollten Sie sagen, dass man nicht alles glauben darf, was im Internet steht. Die Gefahr besteht, dass man mit dem gesammelten Halbwissen aus dem Internet zum Halbwissen-Experten des Internets wird. Doch dies ist ehrlich gesagt keine neue Gefahr, welche erst mit dem Internet geboren wurde.
Seien wir ehrlich. Jeder der früher, in der internetlosen Zeit, seine Kumpels beeindrucken wollte, hat sein Fachwissen aus Büchern zum Besten gegeben. Wenn man wusste, dass die anderen die Quelle nicht kannten, konnte man auch mal über die Stränge schlagen. Aus der längsten Schlange der Welt mit ca. 10 Metern wurde eine Schlange mit 20 Metern. Und schon hatte man ein paar weitere Schlangenexperten geschaffen, welche mit den 20 Metern neues (aber falsches) Wissen erlangt hatten.
Gefährliches Halbwissen ist so alt wie die Erkenntnis, dass wir den Großteil unseres Wissens durch Weitergabe von Informationen erlangen. Die Erfahrung mit der heißen Herdplatte macht jeder selber. Auch dass eine Flamme nicht nur schön aussieht, sondern auch sehr heiß sein kann. Wenn aber einige behaupten, es gäbe zum 11. September und dem eingestürzten World-Trade-Center noch etliche offene Fragen und so manches Sonderbare, wird es als Verschwörungstheorie abgetan. Da wir alle persönlich nicht live vor Ort waren und der Großteil des Wissens auf Weitergabe der Informationen beruht, entstehen Verschwörungstheorien. Das Internet ist nicht nur für Verschwörungstheorien eine Multiplikationsplattform, auf welcher effektiv und schnell Informationen verbreitet werden können.
Dennoch bleibt das vage Gebilde, dass wir uns auf fremde Informationen stützen. Die längste Schlange der Welt lässt sich durch Mehrfachkontrolle von Wissensquellen leicht verifizieren. Bei den eingestürzten Twin-Towers wird dieser Nachweis schon weitaus komplexer und undurchschaubarer. Im Internet beginnt eine Suche mit einer Suchanfrage. Und auch hier sieht Herr Lobo eine enorme Gefahrenquelle für das damit erlangte Wissen. Zitat: „Auch außerhalb von Facebook spuckt das Internet häufig genau die Facette der Realität aus, die man ihm per Suchanfrage vorgibt. Der Netzdenker Michael Seemann* hat dafür den Begriff Queryology (Query bedeutet Suchanfrage) erfunden: Die Art der Suche prägt die Wahrnehmung der Realität entscheidend.“ Wir halten fest: man findet immer nur das, wonach man auch sucht.
Verrückte Welt, aber erst seitdem es das Internet gibt. Vorher war alles anders. Da ging man in eine Bibliothek und hat im Sachwortregister genau nach dem gesucht, was man finden wollte. Wer den Sarkasmus gerade nicht bemerkt hat, sollte das letzte Kapitel nochmals neu lesen. Und wenn man ehrlich ist: früher hat der Blick in ein Buch gereicht, um sich von der Richtigkeit der Information bestätigt zu fühlen. Nur in seltenen Fällen kommen wir auf die Idee, die gefundene Information mit einer anderen Quelle zu verifizieren. Was also ist so neu am Phänomen „Halbwissen aus dem Internet„? Nichts!
Wenn ich im Internet nach „conspiracy 9/11“ (Verschwörung 11. September) suche, erhalte ich Millionen von Suchtreffer. Welchen Wahrheitsgehalt diese Informationsquellen haben, sei dahin gestellt. Ich habe danach gesucht. Und offensichtlich setzen sich die Menschen mit dem Thema auseinander. Man kann es glauben oder nicht. Ich kann auch nach der aberwitzigen Information „Elvis Presley alive“ (Elvis Presley lebt) suchen. Auch hierzu gibt es Millionen von Informationsquellen. In diesem Fall ist das Aussortieren von Richtig oder Falsch schon bedeutend einfacher. Doch es bleibt, wie es ist. Ich bekomme immer genau jene Information geliefert, nach der ich auch suche. Dies ist im Internet nicht anders wie in einer Bibliothek.
Man sollte die Internet-Generation nicht dafür verteufeln, wenn sie durch Twitter-Feeds zum Experten des unbestätigten Halbwissens wird. Auch früher gab es schon welche, die jeden Mist ungefragt akzeptiert haben. Vor 70 Jahren hörten Millionen von Deutschen auf eine einzige Person und dessen unqualifizierten Aussagen. Mit dem Internet wäre dies nicht mehr möglich. Denn der Vorteil dieser elektronischen Über-Bibliothek ist die aktive Teilnahme. 50 Selfmade-Experten stehen 50 Kritiker gegenüber.
verbloggt.de? besser verbockt.de
und immer fleißig meckern gegen alles.
Ansonsten mal die l+r Scheuklappen wegnehmen, uand anderer leute meinung akzeptieren. gilt auch f.d. tsp. leser-comments.
@negro+viel
Aus der anonymen Deckung heraus ist immer leicht Kritik zu üben. Sie sagen mir, dass ich mal die Meinung anderer Leute akzeptieren soll? Dies gilt natürlich immer nur für die anderen. Sie stehen allerdings über den Dingen und müssen keine fremde Meinung akzeptieren!? Eine seltsame Logik.
Und da sie es angesprochen haben: beim Tagesspiegel (Abk. „tsp“) arbeitet ein Redaktionsteam mit noch viel größeren Scheuklappen. Beiträge mit Verunglimpfungen von Tätern werden frei geschaltet. Übt man jedoch Kritik am Verlag oder an der Aussage an einem User, wird solch ein Kommentar nie veröffentlicht. Immer schön unter dem Deckmäntelchen der Nutzungsbedingungen, da es keinen Anspruch auf Veröffentlichung gibt.
Ich übe gern Kritik und meckere gegen irgendwas, wie Sie es schreiben. Ich muss die Meinung anderer Leuten nicht akzeptieren; ich kann und sollte sie mir jedoch anhören. Und dazu gehört auch, dass man keine Zensur betreibt. Denn die ist schlimmer als irgendwelche Scheuklappen.
Ganz interessanter Artikel. Und teile Ihre Meinung in vielen Punkten. Schade, dass sie bei Ihren Ausführungen nicht auch über den Faktor Zeit, respektiv Geschwindigkeit Gedanken gemacht haben, was tatsächlich einen Unterschied in sich birgt zwischen Bibliotheken und Internet.
Liebe Grüsse,
Alexander
„Seien wir ehrlich. Jeder der früher, in der internetlosen Zeit, seine Kumpels beeindrucken wollte, hat sein Fachwissen aus Büchern zum Besten gegeben.“
Der Unterschied ist, dass sich die mündliche Weitergabe mit extrem hoher Warscheinlichkeit auf einen kleinen geographischen Bereich sowie Personenkreis beschränkt.
Der Zielbereich im Internet ist praktisch global.
„Doch nur die in Büchern “gespeicherte” Information ist wirklich “proofed and verified“. Was für ein Irrglaube.“
Das ist richtig. Aber nicht jeder Depp veröffentlicht Bücher. Gleichwohl kann aber jeder Depp Unwissen im Internet mit vernachlässigbarem Aufwand der ganzen Welt mitteilen. Es gilt immer, seine Informationen anhand mehrerer Quellen abzugleichen. Mit dem Internet wird das immer schwerer, da Quellen von niedrigere Qualität übermäßig stark zunehmen.
Wissenschaftliche Paper sind ein verschwindend kleiner Anteil der Quellen im Internet.
Das am schlimmsten betroffene Feld ist der Tech-bererich, weil Konsumelektronik so populär ist heutzutage. Wie viele Nicht-Ingenieure meinen Sie schreiben Tech Blogs? Ich weiß nicht aus welchem Feld Sie kommen, aber mich als Ingenieur beängstigt, was ich im Internet über Technologie lese. Selbst auf „renomierteren“ Blogs ist so viel Halbwissen zu finden, dass ich vom Haareraufen noch eine Glatze bekomme. Es ist nicht einmal nur Halbwissen, sondern teilweise einfach kompletter Unfug, der da an millionen von Menschen verteilt wird.