Journalisten sind nicht zu beneiden. Jeden Tag muss man etwas Neues bei seinem Chef abliefern. Jeden Tag heißt es aufs Neue Nachrichten lesen, recherchieren, nachforschen, Hintergründe ermitteln oder einfach nur Informationen zusammen tragen. Bei Magazinen ist das Leben als Journalist besonders hart, denn man muss den Leser/Zuschauer mit jeder Ausgabe neugierig machen; egal um welches Thema es gehen soll. Bei RTL hat man für den Monat Juni sich etwas ganz tolles einfallen lassen: ein Reporter lebt in einer Berliner Wohnung einen Monat von Hartz-IV. Man möchte damit aufzeigen, wie schwierig es ist, mit 345 Euro durch den Monat zu kommen.
Was möchte uns RTL damit sagen?
Die berühmte Frage: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ Möchte man einfach einen Monat lang die Nachrichtensendungen bei RTL voll bekommen? Möchte man dadurch aufzeigen, wie wenig 345 Euro Regelsatz Hartz-IV sind? Oder möchte man dem Zuschauer zeigen, wie viel der Staat für die nichtarbeitende Gesellschaft tut? Clever ist das Format allemal. RTL hat eingeplant, in allen Nachrichtensendungen auf RTL, VOX und ntv entsprechende Beiträge zu diesem Thema des Monats zu zeigen. Und das Thema Hartz-IV ist wunderbar ausbaubar: Wie lebt es sich als H4-Empfänger? Wo gibt es Beratungsstellen? Was passiert im Jobcenter bzw. was muss man beantragen? Welche staatlichen Zuschüsse gibt es?
345 Euro pro Monat – zu viel oder zu wenig?
Die zentrale Thematik bei diesem RTL-Test ist: wie lebt es sich als Hartz-IV-Empfänger? Wie lebt es sich mit 345 Euro pro Monat? Was bleibt am Monatsende übrig oder reicht das Geld gar nur bis zur Monatsmitte?
Der RTL-Reporter Torsten Misler – freiwilliger Hartz-IV-Testkandidat – rechnet vor: nach dem ersten Tag bleiben nur noch knapp 250 Euro für den ganzen Monat. Die Nebenkosten „fressen“ nämlich alleine über 90 Euro auf: Strom, Telefon, Monatskarte für Bus und Bahn, Privathaftpflicht und Kabelfernsehen. Da bleiben ca. 8 Euro pro Tag.
Sind nun 8 Euro am Tag viel oder wenig? Jemand, der täglich eine Schachtel Zigaretten wegraucht und abends mindestens drei Bierchen trinkt, für den sind 8 Euro pro Tag äußerst knapp bemessen. Wer allerdings statt teuer Bier das kostengünstige Leitungswasser* trinkt und seinen restlichen Drogenkonsum auf ein minimales Maß reduziert, hat mit 8 Euro pro Tag reellere Chancen.
[* deutsches Leitungswasser genießt den Ruf, eines der saubersten und gesündesten Lebensmittel zu sein]
Halbgare Rechnung von RTL.
345 Euro pro Monat sind wahrlich nicht viel. Doch sollte man in die komplette Rechnung mit einbeziehen, dass für einen Hartz-IV-Empfänger auch die Mietkosten und die Krankenversicherung vom Staat übernommen werden. Bei der Miete werden ca. 400 Euro angerechnet und die Krankenversicherung macht nochmals ca. 150 Euro pro Monat aus. Somit kommt man auf eine rechnerische Gesamtsumme von ca. 900 Euro staatlichen Leistungen pro Monat. In der Gesamtheit betrachtet ist dies ein nicht gerade kleiner Betrag, welcher der Staat für die nichtarbeitende Bevölkerung aufbringt – und dies Monat für Monat.
Zum anderen muss man sich fragen, ob ein Hartz-IV-Empfänger überhaupt eine Monatskarte für Bus und Bahn benötigt. Sind jeden Tag Behördengänge zu erledigen? Muss jeden Tag ein Einkauf mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigt werden? Wohl kaum. Darüber hinaus wäre die sinnvolle Frage zu stellen, ob ein Fahrrad nicht die kostengünstigere Alternative wäre. Klar, ein Drahtesel ist weitaus nicht so komfortabel und wetterunabhängig wie ein Bus. Doch es spart massiv Kosten und sorgt zudem für eine ausreichend sportliche Betätigung. Alles eine Frage des Betrachtungswinkels.
Sensationsjournalismus.
RTL ist nicht gerade berühmt für seinen seriösen Journalismus. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn bei diesem Test die unschönen Dinge massiv heraus gestellt werden. So schreibt der RTL-Reporter Misler in sein Tagebuch, dass er am ersten Tag für seine Einkäufe ca. vier Stunden Zeit benötigt hat. Was hat der Mann in diesen vier Stunden gemacht? Er führt einen fiktiven Ein-Mann-Haushalt und wohnt in Berlin-Marzahn. Es ist also nicht davon auszugehen, dass er stundenlange Wege zu Fuß gehen musste. Und auch die Menge seines Einkaufes hält sich wohl in der üblichen Größenordnung: ein paar Reinigungsmittel, Brot, Butter, Getränke, etwas Obst oder Gemüse. Zudem darf die berechtigte Frage gestellt werden, ob es wirklich so schlimm ist, wenn man tatsächlich vier Stunden unterwegs war. Da ein Hartz-IV-Empfänger nicht beruflich eingespannt ist, ist Zeit relativ. Darüber hinaus hat man die Möglichkeit der (relativ) freien Zeiteinteilung.
Gut und schlecht – schwarz und weiß.
RTL versucht mit diesem Hartz-IV-Test die übliche Schwarzmalerei. Man möchte aufzeigen, wie Monat für Monat über fünf Millionen Deutsche mit den 345 Euro über die Runden kommen. Jammern tut allerdings wohl nur RTL selbst. Oder hat man in den letzten Monaten Menschen auf den Straßen demonstrieren sehen, welche mit 345 Euro staatlicher Zuwendung nicht überleben können? Ein Leben als Hartz-IV-Empfänger ist mit nichten kein Leben auf der Sonnenseite. Doch soll es auch kein Leben in Luxus ausstrahlen. Schon jetzt ist es teilweise so, dass viele Arbeiter weniger Lohn bekommen als einem H4-Empfänger an staatlichen Leistungen zusteht (s.o.: ca. 900 Euro). Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn man öfters den Satz hört: Wieso soll ich für 800 Euro Netto arbeiten gehen?
Wohlgenährte Unterschicht.
Dem Begriff „Hartz-IV“ haftet der Ruf der wertlosen Unterschicht an. Trotz allem leben die über fünf Millionen Hartz-IV-Empfänger auf relativ hohem Niveau, wenn man von den 900 Euro Gesamtleistung ausgeht. Dies ist vielleicht auch der Grund dafür, dass sich niemand der Empfänger groß über die Höhe der Leistung beschwert. Natürlich kann es nie genug sein. Auch ein H4-Empfänger würde sich über eine Anhebung des Regelsatzes freuen. Doch es sollte niemals zur attraktiven Alternative werden, das Leben als Hartz-IV-Empfänger zu genießen. Andernfalls wird es auf lange Sicht nicht mehr erstrebenswert, sich um einen Job zu bemühen. Denn wenn „das Leben auf dem Sofa“ zum genügsamen Angebot wird, wird man träge, faul und auf Dauer unattraktiv für den Arbeitsmarkt; und sei es nur für gemeinnützige Arbeiten. RTL hätte dann allerdings ein paar Stammzuschauer weniger.
dümmliche analyse!
von den 8 euro pro tag (bei kindern je nach alter und anderen erwachsenen haushaltsangehörigen noch weniger) sollen auch noch rücklagen für reparaturen, neuanschaffungen, bekleidung, schuhe sowie nachzahlungen für mietnebenkosten angespart – bei schulkindern hefte, stifte gekauft und sonstige material- und veranstaltungskosten bestritten werden.
wenn jemand weniger als 900 netto im monat verdient, dann kann er oder sie ergänzende leistungen nach hartz IV beantragen und erhalten.
arbeiten jedoch wollen die meisten.
die vorstellung, daß die menschen freiwillig sich den demütigungen in den arbeitsagenturen und bei den sonstigen behörden (outing als hartz-IV-empfängerIn bei anträgen auf befreiungen und ratenzahlungen) aussetzt – vom blick der kinder bei der nichterfüllung auch nur der geringsten ihrer wünsche ganz zu schweigen! – dieses kann nur im denken von jemandem entstehen, der es sich selber so bequem wie möglich einrichten möchte – in einer gesellschaft, die die millionen-euro-abzocker noch steuerlich begünstigt, den jugendlichen angehörigen von bedarfsgemeinschaften es jedoch verwehrt, sich in den ferien etwas dazuzuverdienen.