Sie kennen sicherlich eine dieser Überschriften: „Die Macht der Märkte“ oder „Märkte reagieren erleichtert“ oder auch mit ehrlichem Inhalt „Merkel versteht die Märkte nicht„. Immer sind es diese ominösen, nebulösen und zum Neutrum gewandelten Märkte. Deniz Yücel von der Berliner TAZ hat sich die Aufgabe gemacht, einen Großteil der Überschriften mit „Märkte„ zusammen zu tragen. Heraus gekommen ist nicht nur eine wunderbar ehrliche Kolumne sondern fast schon ein Kunstwerk.
Wenn Journalisten viel sagen aber wenig schreiben wollen, nutzen sie Sammelbegriffe oder lieber noch Synonyme. In den Wirtschaftsredaktionen gibt es zwei Lieblingssynonyme: DAX und Märkte. Der DAX (Deutsche Aktien Index) oder ein anderer Börsenwert reagiert mal mit einer Talfahrt, ein anderes Mal beflügelt der steigende DAX auch gern die Märkte. Anders herum kann ein nervöser Markt auch auf den DAX drücken. Wie dem auch sei, Synonyme sind des Redakteurs liebstes Kind.
Der DAX spiegelt nur Kursbewegungen von einzelnen Aktien wieder. Der DAX selber kann weder handeln noch lenken. Der DAX kann prinzipiell auch nicht beeinflussen – allerhöchstens die Meinung in den Köpfen. Doch um das Geschwurbel an den Finanzmärkten nicht all zu kompliziert erscheinen zu lassen, greifen Journalisten zur Vereinfachung und reduzieren Aussagen auf beispielsweise „DAX ignoriert katastrophale Markterwartungen„. In erster Linie haben Broker bzw. Banker etwas ignoriert, aber dies würde in der journalistischen Detailarbeit zu weit gehen.
Auch den(!?) Märkten ergeht es so. In den Köpfen von Redakteuren sind Märkte nicht nur vorhanden sondern können auch handeln, reagieren und als Platzhalter in Überschriften dienen. Wenn man es mit den Märkten übertreibt, können gar ganz wunderbare Stilblüten entstehen: „Marktbericht: Angst vor Eskalation der Schuldenkrise drückt Märkte„. Was der Redakteur eigentlich sagen wollte, erfährt man erst im Text. Dort ist die Rede von Investoren, Händlern, Managern oder auch den Konsumenten. Möchte man alle in einen Topf werfen, nennt man sie einfach Märkte.
Unsere Regierung hat schon seit etlicher Zeit große Probleme mit den Märkten. Denn obwohl Märkte offensichtlich kein Gesicht haben, sorgen sie für Turbulenzen an den Finanzmärkten und für Krisen in den Euro-Ländern. Man bekommt diese Märkte einfach nicht zu fassen. Es ist ein Kreuz. Doch obwohl alle Beteiligten die Schuldigen genau benennen können, wird am Ende des Tages wieder auf die „bösen Märkte“ runter reduziert. So als ob der unterbelichtete Bürger einen wertfreien Verursacher braucht: „Die bösen Märkte. Die können einem den ganzen Tag vermiesen. Aber wir sind ja so machtlos gegen die Märkte. Die machen was sie wollen.“
Es ist übrigens ein großer Markt an hirnbefreiten Finanzredakteuren vorhanden. Denn wer die Schuldigen beim Namen nennt, fliegt raus aus dem Markt.