Nach langer Zeit fahre ich mal wieder eine Fernstrecke mit der Bahn. Und was soll ich sagen, es ist ein Event sondergleichen. So viel Erlebnisfaktor hat man beim Fliegen nicht. Man wird zwar nicht von wirschem Sicherheitspersonal abgefummelt. Auch laufen keine hübschen Bahnbegleiterinnen durch den Zug, welche einem Getränke und Snacks servieren. Doch dafür wird es einem auf einer siebenstündigen Bahnfahrt dennoch nicht langweilig.
Das einmalige Event begann schon am Ausgangsbahnhof. Am Ostbahnhof startete mein Zug. Doch da hatte der ICE schon 18 Minuten Verspätung, bevor er überhaupt den ersten Bahnhof verlassen hatte. Angeblich gab es Probleme bei der rechtzeitigen Bereitstellung des Zuges. Nanu? Schnee gab es keinen und auch Minustemperaturen wurden zu dem Zeitpunkt nicht gemessen. Da war schon im Voraus klar, dass ich meinen Anschlusszug nicht bekommen werde. Macht ja nichts; der nächste kommt schon eine ganze Stunde später. Statt den planmäßigen 10 Minuten Umsteigezeit werden es dann eben 50 Minuten sein.
Irgendwo auf der Strecke nimmt ein Herr neben mir Platz, der sogleich seinen ganzen Technikzoo auf dem Tisch ausbreitet: Laptop und Handy. Natürlich ein Apfel-Phone, welches bei der ICE-Kundschaft sich wohl großer Beliebtheit erfreut. Jeder zweite, männliche Fahrgast hat ein Modell aus dem Hause Apple. Ich dachte, dass mein Sitznachbar sofort inbrünstig mit der Arbeit beginnt; E-Mails schreiben, Powerpoint-Präsentationen erstellen und der ganze Kram. Falsch gedacht. Zuerst wird der Laptop mit einem Fusseltuch und großer Hingabe von Schmutz und Fingerabdrücken befreit. Dem Handy ergeht es ebenso. Danach wird das Windows gestartet .. um … nein, er war keiner dieser Video-Gucker. Er öffnet die PDF-Bedienungsanleitung seines (neuen?) Telefons. Aufmerksam liest er ein kleines Kapitel, nimmt danach das Handy in die Hand und versucht sich in den beschrieben Einstellungen oder den entsprechenden Programmen. Dieses Spiel geht mindestens zwei Stunden. So kann man auch eine Zugfahrt über die Runden bekommen. Richtig lustig wurde es, als er die Kompassfunktion entdeckt hatte. Ich dachte, gleich dreht er den ganzen Tisch mit, um sein Handy Richtung Norden auszurichten.
In der ersten Klasse gibt es echten Platzservice; eigentlich vergleichbar mit dem im Flugzeug. Die „Holzklasse“ (2. Klasse) hingegen darf sich kurzfristig mal am rollenden Service erfreuen. Da sprintet im Eiltempo ein Mitarbeiter durch die Abteile und bietet frischen Kaffee oder Sandwiches zum Kauf an. Doch der Laufschritt ist derart rasant, dass man den Servicemitarbeiter erst dann realisiert, wenn er schon fünf Meter an einem vorbei gehuscht ist. Wie gut, dass ich an die Selbstverpflegung gedacht habe. Ansonsten müsste ich dem Verkäufer durch den halben Waggon hinter her brüllen: „Ja bitte, Kaffee. Hier!“
Relativ neu ist der Service mit dem mobilen Internet. In meinem ICE gab es auf ausgewählten Strecken WLAN-Empfang – bereitgestellt über einen Hotspot der Telekom. Super dachte ich, dann kann ich mir die Kosten bei meinem Provider sparen. Diese Rechnung hatte ich allerdings ohne den (Telekom)-Wirt gemacht. Ohne Vertragsbindung kosten 60 Minuten großzügige 8 Euro. Wer nutzt diesen teuren Spaß? Lohnt sich der installierte Aufwand für die Bahn überhaupt? Die Kosten für die Übertragung der Datenpakete wird sich in Grenzen halten. Viel teurer war da sicherlich der grundlegende Aufbau der Technik. Wieso verkauft man diese Dienstleistung für einen solch horrenden Preis, wenn es am Ende dann nur sehr wenige nutzen? Für ein paar E-Mails abrufen oder die neusten Nachrichten auf einem Portal lesen, gebe ich keine 8 Euro aus. Mit einem niedrigeren Preis wäre die Auslastung sicherlich höher. Aber Exklusivität benötigt ihren exklusiven Preis. Also kein Internet für mich.
Gegen Ende der Fahrt kommt dann noch der Knaller des Tages. Nach einem Halt in einem Bahnhof steht ein Mann vor dem Tisch und begutachtet die freien Plätze. Sein Blick wandert von links nach rechts, dann nach oben zur Anzeige der Sitzplatzreservierungen, dann wieder auf die freien Plätze. Und plötzlich schießt es aus ihm heraus: „T’schuldigung, ist neben Ihnen noch frei?“ Ich sage in diesem Moment das einzig richtige, was ich antworten kann: „Ich reise alleine.“ Etwas zerknirscht schaut er wieder auf den Sitzplatzanzeiger, dann wieder auf den freien Platz neben mir. „Ist der Platz noch frei?“ Sollte ich mit einer identischen Doppelantwort kontern? Nein, ich sage zu ihm: „Was steht denn oben in der Reservierungsanzeige?“ Er: „Nichts!“ Ab diesem Moment hüllte ich mich in komplettes Schweigen. Ich wollte ihm das Kombinieren selber überlassen. Doch damit hatte ich den Herrn wohl überfordert. Er stand im Gang wie eine erstarrte Salzsäule. Ich zuckte darauf hin nur kurz mit den Schultern und wenig später ließ er sich in den Sitz plumpsen.
Um das Kapital noch erfolgreich ab zu schließen: natürlich hatte der ICE an meinem Umsteigebahnhof immer noch so viel Verspätung, dass mein Anschlusszug schon weg war. Ich durfte mir dann 50 Minuten die Beine in den Bauch stehen. Nach sechs Stunden und 30 Minuten im ICE schon fast eine Wohltat. Danke Deutsche Bahn.
[…] wir Bahn-Vielfahrer schon gar nicht mehr kommentierenswert finden, ist für andere berichtenswertes Ereignis. Gut beobachtet, nett geschrieben. […]
es geht noch besser! Ich habe das letzte mal sogar noch Reservierungsgebühren bezahlt! Gestanden bin ich trotzdem, denn der Wagen, indem meine Reservierung war, war leider nicht angehängt. Und Verspätung gab es auch, ich glaube das ist das Bahn-Extra beim ICE-fahren