Eine seltsame Milch-Lüge-Dokumentation

Der NDR (Norddeutscher Rundfunk) sendete am 30. Juli 2012 die 45-minütige Dokumentation „Die Milch-Lüge“. Circa 15 Minuten befassen sich die Autoren mit Nebenwirkungen wie Neurodermitis, Laktoseunverträglichkeit oder gar Prostatakrebs. Die restlichen 30 Minuten der Dokumentation sind der Produktion und der Milchwirtschaft gewidmet. Eine verklärte Romantik wird aufgearbeitet. Die Milch ist heute ein industrielles Produkt wie Brot oder Gemüse. Es wird jedoch der Eindruck vermittelt, der Konsument glaubt den verträumten Vorstellungen aus der Werbung (immer) noch.

Blauer Himmel, grüne Wiesen, Alpenhänge im Hintergrund. Eine Bäuerin rührt im Holzbottich einen Joghurt an. Mit solch einem Bild verkauft die Milchindustrie gern ihre Produkte. Die Realität ist jedoch weit davon entfernt und ich kann auch nicht glauben, dass der Konsument an verträumte Bergwiesen denkt, wenn er im Supermarkt nach einem Tetrapack H-Milch greift.
Werbung soll Emotionen wecken. Dies ist weder verwerflich noch ein Alleinstellungsmerkmal für Milchprodukte. Die Hersteller von Diätlebensmitteln erzählen etwas vom einfachen Abnehmen, die Fleischindustrie von der leichten Geflügelwurst und die Wasserproduzenten verkaufen billiges Grundwasser als ein teures Wellnessgetränk. Wir werden von der Werbung ständig hinters Licht geführt. Wer den bunten Versprechungen Glauben schenkt, sollte zuerst einen Kurs in Verkaufspsychologie belegen und erst danach einen für Lebensmittelkunde.

In der NDR-Dokumentation „Die Milch-Lüge“ wird sie gezeigt, die industrielle Großproduktion von Milch, Sahne, Joghurt und anderen Milchprodukten. Die gezeigte Großmolkerei „frischli“ verarbeitet täglich 1,3 Millionen Kilo Rohmilch. Hier rührt niemand in irgendwelchen Töpfen. Alles läuft vollautomatisch. Anders ist die riesige Menge auch nicht zu bewältigen. Und anders sind die niedrigen Verkaufspreise auch nicht zu halten, wenn bspw. ein Liter Milch 50 Cent kosten soll.

Massenproduktion kontra Nischenprodukt

Da ist auch der große Milchbauer „Schröder“. Der Hof wird in der vierten Generation geführt. Dank einer Investition von 100.000 Euro konnte die Anzahl der Kühe verdoppelt werden. Der Milchbauer hat eine zugesicherte Menge von 1 Million Liter pro Jahr zu liefern. Alle Kühe werden per Funk kontrolliert und der Bauer kann minutengenau alle Daten ablesen (Milch- und Futtermenge, Kälber, etc.). 10 Tonnen Futter muss der Bauer täglich mischen. Selbst die Geburtenkontrolle wird nicht dem Zufall überlassen.
Bauer Schröder räumt mit der verklärten Romantik auf: ein heutiger Hof kann nicht mehr wie vor 100 Jahren funktionieren. Ein Bauer muss wirtschaftlich kalkulieren und handeln. Sonst kann er nicht überleben im großen Verdrängungskampf.

Es geht auch anders. Fernab der Massenproduktion verarbeitet der Kleinbauer Sierck im Schlesischen nur 500 Liter Milch der eigenen 60 Kühe. Man setzt auf regionale Frische und naturbelassene Produkte. Außerdem hat der Bauer große Acker- und Weideflächen. Solcher Luxus kann nur als Nischenprodukt funktionieren, kostet der Liter Milch scließlich 1,25 Euro.
Für die Meierei „Geestfrisch“ hat die Familie einen sechsstelligen Betrag investiert. Das Geschäft rechnet sich jedoch erst, wenn die Anzahl der Kunden sich verdoppelt. Ein kleiner Hof muss schließlich ebenso wirtschaftlich handeln wie ein großer Hof. Und was passiert, wenn die Nachfrage größer wird als das Angebot? Mehr Kühe, mehr Milch, mehr Wachstum? Auch ein regional agierender Bauer muss sich mit der regionalen Konkurrenz messen. Ganz so einfach ist die nachhaltige Produktion nicht.

Macht die Milch krank?

Viele Menschen leiden an der Laktoseintoleranz. In Südostasien sind es 98 Prozent, in Schweden hingegen nur 2 Prozent und in Deutschland 15 Prozent der Bevölkerung. Aber auch für Neurodermitis und sogar Prostatakrebs sollen Milchprodukte verantwortlich sein. Viele Studien belegen eine krankmachende Wirkung. Ebenso viele Studien können aber keinen Zusammenhang feststellen und geben damit Entwarnung.
Antje Gahl von der DGE, Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V., betont die möglichen Risiken bei einem hohen Milchverbrauch. Auf der anderen Seite empfiehlt die DGE ausdrücklich den Konsum von Milch. Jeder muss im Einzelfall abwägen, ob es ihm mit oder ohne Milch besser ergeht.

Das Beispiel einer früheren Milchtrinkerin soll die krankmachende Wirkung verdeutlichen. Nachdem sie alle Milchprodukte abgesetzt hatte, verbesserten sich die Schmerzen. Es gibt auch Menschen, die allergisch auf Tomaten reagieren oder auf Nüsse. Selbst wegen Hausstaub oder Reinigungsprodukten kann man erkranken. Der Zusammenhang der krankmachenden Milch ist also mehr als konstruiert und nicht allgemein gültig.

Massenproduktion schlecht – Kleinserie gut?

Man könnte den Eindruck bekommen, die Autoren möchten genau dieses Fazit in ihrer Reportage ziehen. Die in Massen produzierte Milch ist schlecht für Mensch und Tier. Nur die Produkte aus der Kleinserie sind ethisch wie gesundheitlich zu empfehlen. Das ist genau die verklärte Romantik, mit der der Film eigentlich aufräumen möchte.
Viele Millionen Menschen kann man nicht mit Kleinserien ernähren. Sowohl logistisch als auch finanziell ist es undenkbar. Die selbe Diskussion kann man bei der Fleischproduktion ebenso stellen wie beim Anbau von Gemüse und Obst. In der Großstadt etwas schwierig, wenn man im Hinterzimmer einen Stall mit zwei Hühnern, einem Schwein und einem Rind für die persönliche Versorgung hält. Und das Gemüse pflanzt man auf dem Balkon an.

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