Es muss nur das Wort „Jude“ fallen

Juden befinden sich permanent in der Opferfalle. Als Nicht-Jude muss man immer darauf achten, was man sagt und wie man es sagt. Juden genießen einen teflonartigen Dauerschutz. Vom Judentum zum Antisemitismus sind es gefühlt nur zwei Fingerbreit. So geschehen vor wenigen Tagen in Berlin. Eine Familie aus Dahlem möchte in die Pestalozzistraße in Charlottenburg und bestellt dazu ein Taxi. Als der Fahrer erfährt, dass es zur dortigen Synagoge geht, soll die Fahrt eskaliert sein.

Wären es schwarzafrikanische Fahrgäste gewesen, hätte die Geschichte deutlich dicker ausfallen müssen. So reicht es jedoch, dass sich vier jüdische Mitbewohner angegriffen fühlen. Die Presse zeichnet das passende Bild dazu. Themen über Antisemitismus verkaufen sich fast so gut wie Nacktbilder von Prominenten. Derzeit noch in der RBB-Mediathek abrufbar, der Filmbeitrag zum jüdischen Trauerspiel.


(C) Screenshot: Rundfunk Berlin-Brandenburg

Die Kamera schwenkt um die Betroffenheitsgruppe. Der Sprecher dazu mit tief-sonorer Stimme: „Familie Dobrin, zu tiefst verletzt.“ Die pummelige 11-jährige Sharon Dobrin, mit Plüschschweinchen unterm Arm, darf in die Kamera jammern, wie grausam das alles war. Am Anfang soll der Taxifahrer ja noch ganz nett gewesen sein. Aber als die Mutter erwähnte, dass sie zur Synagoge wollen, war der Taxifahrer „ganz gemein„. Mutter Esther Dobrin betont, der Taxifahrer habe ihnen das Gefühl gegeben, dass er sich vor ihnen ekelt, weil sie jüdisch sind. Der Vorfall belaste sie sehr. Die Betroffenheitsgruppe senkt die Häupter.

Taxifahrer Christian G. beschreibt hingegen ein etwas anderes Bild der Lage. Die Frau soll gestresst gewirkt haben. Nach wiederholtem Nachfragen auf welcher Höhe in der Pestalozzistraße das Ziel liege, soll sie ihn aufgefordert haben, das Navigationsgerät zu nutzen. Der Taxifahrer muss darauf hin – wohl etwas angewidert – angeboten haben, einen Kollegen zur Weiterbeförderung zu nutzen. Kurz darauf war die Fahrt dann unverrichteter Dinge zu Ende. Dem nicht genug, Frau Dobrin erstattete Anzeige bei der Polizei. So was macht man eben nicht mit Juden. Mit Schwarzafrikaner vielleicht, aber nicht mit Synagogenbesuchern.

Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie es abgelaufen sein könnte. Frau Dobrin war gestresst, weil sie zu dem Zeitpunkt introvertiert(!) war. Zitat: „Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben das Totengebet für meine Eltern sprechen„. Der Taxifahrer zudem wahrscheinlich Modell Berliner Schnauze und etwas angewidert über das Auftreten. Ein Wort ergibt das andere. Der Tonfall ändert sich und beide Parteien fühlen sich angegriffen. Dumm nur, dass die Fahrgäste jüdischen Glaubens sind. Weil mit Juden macht man so was nicht.

Das Reaktionsgefüge ist mir nicht ganz unbekannt. Ein Bekannter muss in persönlichen Gesprächen permanent betonen, dass er jüdischer Abstammung ist. Das Ganze ähnelt einem Selbsterhaltungstrieb. In Ansätzen wirkt es auch wie egomanische Peinigung. Und wehe man steigt auf seine Betroffenheitslyrik ein. Dann gibt er einem das Gefühl, dass man – ganz persönlich – für die ca. 70 Jahre alten Gräueltaten verantwortlich ist. Man ist schließlich Deutscher und muss heute noch dafür büßen, was der Opa eventuell verbrochen hat. In gewisser Weise kann ich den Taxifahrer verstehen.

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5 Kommentare

  1. Hallo Thomas, ich finde das was der Blogger geschrieben hat sehr treffend und gut analysiert.
    Wenn jemand seinen persönlichen Streß nicht kanalisieren kann und andere damit belastet, muß sich dieser nicht über eine entsprechende Reaktion wundern. Meiner Meinung nach haben die Medien diesen Vorfall dramatisiert. Man muß sich nur die Fotos genauer ansehen, um zu erkennen, daß hier nicht objektiv recherchiert wurde.
    Dem Taxi-Fahrer ist nur zu wünschen, daß es ihm nicht sein Job kostet.

  2. Hm, das ist mir ein typischer Fall dialektischer Haarspalterei, in der wegen sog. nutznießerischer „Betroffenheitslyrik“ aus einem jüdischen Opfer von Antisemitismus eine überhebliche und anmaßende Nervensäge gemacht wird, die am Ende des Tages dann irgendwie selbst an der Shoah Schuld sein soll – eben wegen all dieser Wichtigtuerei. Der historisch folgerichtige Ablauf der Geschehnisse scheint dann auch keine Rolle mehr zu spielen.

    „Man ist schließlich Deutscher und muss heute noch dafür büßen, was der Opa eventuell verbrochen hat. In gewisser Weise kann ich den Taxifahrer verstehen.“ Und den Opa kann er anscheinend auch sehr gut verstehen… Vergangenheitsbewältigung – wozu? „Berliner Schnauze“ ist schließlich eine nuiverselle Entschuldigung, hattn wa schon imma, bleibt auch so. Basta.

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