Beim ZDF ist das Casting-Fieber ausgebrochen. Es wird allerdings nicht der nächste Superstar gesucht sondern Deutschlands nächster Kanzler. Ganz ernst zu nehmen ist dieses Casting jedoch nicht. Denn keiner der Protagonisten wird ernsthaft von sich behaupten, über dieses Kanzler-Casting es in den Bundestag zu schaffen – und erst recht nicht Kanzler zu werden. Die 40 Kandidaten stellen sich dabei einer Jury aus Henning Scherf (früherer Bremer Bürgermeister), Günther Jauch und Anke Engelke. Doch ist es so einfach mit „Ich kann Kanzler„?
Das ZDF ist natürlich nicht von alleine auf eine solch grandiose Talentshow gekommen. Zum Vorbild hatte man Canada’s Next Great Prime Minister. Der Ansatz und die Umsetzung sind relativ identisch. Bei der deutschen Ausgabe von „Ich kann Kanzler!“haben sich ca. 2500 Bewerber online registriert. Übrig geblieben davon sind 40 Kandidaten, welche in einem Zusammenschnitt am 18. Juni im ZDF dem Fernsehzuschauer präsentiert wurden.
Nicht dass ich diese Idee eines Kanzler-Castings schlecht finden würde. Ganz im Gegenteil. Eventuell hilft es, gerade das jüngere Publikum vor die Mattscheibe zu locken und sich wieder vermehrt für die politischen Belange zu interessieren. Doch das Ergebnis enttäuscht indes in jeglicher Hinsicht. Was man in „Ich kann Kanzler“ zu sehen und vor allem zu hören bekam, erinnerte ungemein an die platten Wahlkampfparolen der Gewerkschaften oder linker Jusos. Man müsse mehr mit dem Volk arbeiten. Das Volk stehe im Zentrum der Politik. Die Politiker sollten sich vermehrt und die Belange der Bevölkerung kümmern. Soweit ich mich schwach erinnern kann, wurde kein einziges Mal das Wort Wirtschaft in Verbindung mit Konzernen bzw. Unternehmen gebracht. Auch das Thema Subventionen wurde einigen Teilnehmern nur dann in den Mund genommen, wenn damit nur die Vorteile fürs Volk erkennbar waren. Weitere Themen bei den Castings waren: Bildung, Steuerrecht und die Politikverdrossenheit.
Dass das Volk mittlerweile eine ausgeprägte Politikverdrossenheit zeigt, ist weithin sichtbar. Bei der Europawahl vor knapp zwei Wochen wurden alle Parteien abgestraft. Die Wahlbeteiligung war mit 42,4% selten niedrig. Über die Gründe könnte man ausführlich streiten. Ein Hauptgrund dürfte jedoch die Gleichgültigkeit der Wähler sein. Viele Bürger erwarten von den Politikern nicht mehr viel oder nichts, was sich in der Zukunft ändern könnte. Viele sind der Meinung, dass die Politiker den Wirtschaftsbossen näher stehen als dem Wahlvolk. Von dieser Warte betrachtet, hatten die Teilnehmer des Kanzler-Castings die besten Voraussetzungen erfüllt, um auf die Stimmen des Volkes zu hören.
Doch Politik endet nicht am Gartenzaun. Wer als Politiker nicht das Ganze sieht und erkennt, sollte kein Staatsvertreter werden. Wer nur für das Volk arbeitet macht die selben Fehler wie viele unserer jetzigen Abgeordneten, welche kaltschnäuzig nur den Vorgaben der Wirtschaft folgen. Beides ist falsch und beides ist nur die Hälfte der Arbeit.
„Ich kann Kanzler!“ ist also nicht mehr und nicht weniger der verzweifelte Hilfeschrei junger Wähler, wohin sich das politische Blatt wenden sollte. Das Ruder gleich um 180 Grad rum zu reißen, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Für eine Casting-Show im ZDF hat es allemal gereicht. Und dass das Volk eine eigene Stimme hat, welche am Ende auch noch erhört wird, dafür hat man beim ZDF sich etwas ganz geniales einfallen lassen. Das Finale wird am 19. Juni ab 21.15 Uhr live im Fernsehen übertragen und der mündige Zuschauer kann dann per Televoting seine Stimme abgeben. Das ist besser als jede Kommunalwahl. Aber schlussendlich doch ein einfach gestricktes TV-Casting mit jungen Teilnehmern, einer Jury und dem Zuschauer mit der Hand am Telefon.
Der Arbeitstitel von „Ich kann Kanzler“ hieß beim ZDF intern bestimmt „Wir können auch Casting“. Denn mehr bleibt am Ende von dieser Kanzlersuche nicht übrig. Und solange das (TV)-Volk nur bequem vom Sofa aus per Telefon abstimmt, solange wird auch die Politikverdrossenheit die selbe bleiben.