Heute genau vor einem Jahr wurde Japan von einer verheerenden Naturkatastrophe heimgesucht. Ein Beben der Stärke 9.0 traf weite Teile des Landes und löste einen gewaltigen Tsunami aus. Viele Tausend Menschen starben unmittelbar oder in den Folgen dieser Naturkatastrophe. Dem nicht genug, wurde das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi von einer Tsunamiwelle so stark beschädigt, dass es zu einem atomaren GAU (größter anzunehmender Unfall) kam. Seitdem tritt aus den beschädigten Atomreaktoren massenhaft radioaktive Strahlung aus. Pünktlich zum Jahrestag erinnern sich die meisten Journalisten wieder daran.
Bedingt durch das Erdbeben und den über das Gelände einbrechenden Tsunami kam es es in Folge zu mehreren Kernschmelzen, bei der die Reaktorblöcke 1 bis 4 zerstört und erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt wurden. Heutige Zahlen lassen darauf schließen, dass die radioaktive Strahlung ca. 50 Prozent dessen vom Reaktorunfall von Tschernobyl entspricht. Dennoch ist die Strahlung deshalb nicht weniger gefährlich. Denn in Block 3 kamen neben den üblichen Uran-Brennelementen auch 32 sogenannte MOX-Brennelemente mit einer Mischung aus Uranoxid und Plutoniumoxid zum Einsatz In abgebrannten Uranbrennstäben entsteht Plutonium, welches durch Wiederaufbereitung in MOX-Brennelementen den Reaktoren wieder zurück geführt werden kann.
Der größte Teil der in Fukushima aufgetretenen Strahlung wurde durch Iod 131 frei gesetzt. Iod 131 hat eine Halbwertszeit von 8 Tagen. Dies bedeutet, dass in 8 Tagen die Hälfte der vorhandenen radioaktiven Atome zerfallen. Die Strahlung halbiert sich während diesem Zeitraum. Nach ca. einem Monat ist der größte Teil des radioaktiven Iodes abgeklungen und stellt keine Gefahr mehr dar.
Anders verhält es sich mit dem ebenfalls frei gewordenen Caesium 137 , welches eine Halbwertszeit von über 30 Jahren besitzt. In Tschernobyl entstanden die meisten der Spätfolgen durch eben dieses Caesium 137. Ein damit kontaminiertes Land ist für Jahrzehnte unbewohnbar.
Die größte Gefahr geht jedoch von den MOX-Brennelementen aus. Das Spaltprodukt Plutonium 239 hat eine Halbwertszeit von 24.390 Jahren.
Wenn heute den Opfern der japanischen Naturkatastrophe gedacht wird, befassen sich viele Journalisten auch mit dem Reaktorunglück von Fukushima. Der Unfall wird abermals hinterleuchtet. Fragen zur Sicherheit werden (neu) gestellt und das Konglomerat aus dem Kraftwerksbetreiber Tepco und der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA hinterfragt. Auch das Thema Strahlung ist dabei wichtig. Erinnerungen an Tschernobyl werden wiederbelebt.
Eine Frage bleibt im Raum stehen. Wenn Plutonium 239 eine Halbwertszeit von 2.390 Jahren hat, dann ist die Strahlung dieses radioaktiven Stoffes heute fast exakt so hoch wie vor einem Jahr. Auch die Strahlung von Caesium 137 hat sich nicht wesentlich vermindert. Wieso braucht es ausgerechnet einen Jahrestag, um das Thema Reaktorunfall-Fukushima wieder in die Medien zu bringen? Eigentlich könnte man täglich neue schreckliche Nachrichten über die tödliche Wirkung dieser Strahlung schreiben. Oder sind etwa die „strahlungsintensiven“ Themen rund um Bundespräsidenten und Griechenlandhilfen wichtiger, weil dauerhaft schädlicher? Journalisten haben oft ein sehr eigenwilliges Verhältnis zur Halbwertszeit von Informationen.
Es hat sich in unserer Gesellschaft etabliert, Ereignissen an Jahrestagen zu gedenken. Genauso wie Du Recht damit hast, dass es keinen physikalischen Grund gibt, just nach einem Jahr wieder auf eine ständig wirkende radioaktive Strahlung hinzuweisen, gibt es keinen sachlichen Grund, in präzisen Jahresintervallen unserer eigenen Geburt zu gedenken und eine Feier zu geben. Wir werden im Verlauf jedes Tages einen Tag älter, nicht einmal alle 365 Tage mit dem Vorrücken des Uhrzeiges auf einen Schlag ein Jahr älter. Aber so ticken wir nun einmal …
Zum Begriff des GAUs: Streng genommen fand in Fukushima kein GAU statt, sondern ein den GAU übersteigendes Ereignis (Super-GAU). Mit dem größten anzunehmenden Unfall ist nicht der physikalisch größtmögliche Unfall gemeint, sondern der schlimmste zuvor einkalkulierte Störfall. Ein zuvor angenommenes Schadenereignis muss ein Kernkraftwerk aushalten, ohne Strahlung in die Umwelt freizusetzen! Nähme man tatsächlich einen Unfall an, für dessen Eindämmung das Kraftwerk nicht ausgelegt ist, dürfte man es natürlich erst gar nicht bauen.
Wenn wie in Fukushima massiv Strahlung frei wird, dann übersteigt das Ereignis also per Definition den GAU und man spricht von einem Super-GAU. Mir ist klar, dass es gegen das Sprachgefühl verstößt, mit „größtes“ bereits den Superlativ zu verwenden, und dann noch einmal „super“ davor zu setzen. Der Knackpunkt ist hier, dass das A in GAU für eine Annahme und nicht für eine physikalische Grenze steht. Im Gegensatz zu einem physikalischen Maximum kann sich eine Annahme bezüglich eines Maximums als fehlerhaft erweisen und von der Realität noch übertroffen werden, weshalb der Zusatz „super“ (Latein für „über“) seine Berechtigung hat.