Presse-Terror nach dem Anschlag in Oslo

Dieser Tage wird der Leser auf breiter Front von den Journalisten mit einem einzigen Thema bombardiert: Anders Behring Breivik. Bis vor wenigen Tagen war dieser Mann ein Niemand; ein Bewohner Norwegens unter den restlichen 5 Millionen. Auch entgegengesetzt zur normalerweise eher mageren Berichterstattung über Norwegen, werden wir momentan mit interessanten aber auch profanen Informationen überschüttet. In den meisten Redaktionsstuben scheint es jedoch einen klaren Fokus zu geben: ist der Terror zurück?

Das Dilemma beginnt bereits mit der Wortwahl. Es handelte sich um einen Anschlag; um nicht mehr und um nicht weniger. Terror würde eine Angst vor einer Gefahr voraussetzen. Diese war bei diesem Anschlag aber nie gegeben. Auch ist nicht damit zu rechnen, dass diese Gewalttat sich in selbiger Form woanders wiederholen könnte. Doch da hat man nicht mit der journalistischen Intelligenz unserer Presseleute gerechnet. Da ist der Terror in voller Breite zurück gekehrt:

Aber auch die Bewegtbild-Medien haben nicht sonderlich glücklicher agiert. Kaum wenige Stunden nach dem Attentat wussten die Terrorexperten der TV-Anstalten bereits jedes noch so unwichtige Detail dieser Bluttat. Die taz betitelte dies mit „Es wurde der größtmöglich anzunehmende Unsinn erzählt„. Den zugeschalteten, eingeladenen oder telefonisch verbundenen Experten war unisono klar, was da in Oslo passiert war. Denn wenn eine Autobombe in einem Regierungsviertel explodiert, dann können dies nur islamistische Terroristen sein. Alles hat einen islamistischen Hintergrund, wenn irgendwo etwas in die Luft fliegt oder irgend etwas in etwas anderes hinein fliegt. Wir sind geblendet von der dauerhaften Vorstellung, dass nur langhaarige Extremisten aus den arabisch-persischen Ländern für solche Gräueltaten verantwortlich sein könnten.

Als sich dann heraus stellte, dass dieser „norwegische Terrorist“ auf einer Insel auch noch 77 Menschen kaltblütig ermordet hatte, war die Lage vollends verworren. Was möchte man als Terrorexperte da noch sagen? Zum Glück (für die Medien) hatte Anders Behring Breivik viel Zeit damit verbracht, sich im Internet selbst zu inszenieren. Somit konnten die Kaffeesatzleser zu neuen Vermutungen übergehen: Rechtsradikalismus. Und gleich die wichtige Frage nachgeschoben: „Droht auch uns in Deutschland ein neuer Schub von Rechts?“ Ja, die machen dann Jagd auf unterbelichtete Journalisten.
Und weil es thematisch so schön passend ist, kommt auch noch die Frage nach den Computerspielen auf. Die Augsburger Allgemeine titelt „Blond, blauäugig und kalt wie Eis“ und schreibt: „Er gehe gerne jagen und spiele Computerspiele wie „World of Warcraft“ und „Modern Warfare 2“.“ Ich muss gleich mal eine gute Freundin anrufen. Die spielt ebenfalls gern World-of-Worcraft, aber von ihr habe ich jetzt schon länger nichts mehr gehört.

Manche Zusammenhänge sind derart konstruiert, dass man beim Lesen unfreiwillig Brechdurchfall bekommt. Ich koche leidenschaftlich gerne und habe daher auch viele scharfe Messer in meiner Küche deponiert. Sollte ich irgendwann einmal die Website von ESSEN & TRINKEN sabotieren, dann wäre ich gespannt über die Erklärungsversuche der Presse.

Es ist zutiefst tragisch, was in Norwegen passiert ist. Doch ebenso tragisch ist das Verhalten der Presse. Es war ein Versagen auf ganzer Front. Schuld ist da nicht nur der Zeitdruck. Die Medien haben ein komplettes Volk verunglimpft, indem sie den 5 Millionen Einwohner Norwegens Thesen unterstellt haben, die falsch bis halbwahr sind. Die einzigen, die besonnen und informiert reagiert haben, waren die norwegischen Medien selbst.

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