Der Aufschrei war groß, als der neue Armutsbericht vorgestellt wurde. Fast 20 Prozent aller Bundesbürger leben in Armut oder sind von Armut betroffen. Dies klingt auf der einen Seite dramatisch. Auf der anderen Seite lässt der Bericht völlig offen, wie die Definition von Armut lautet. Es bleibt nur das Ergebnis, dass die Armutsgrenze unterhalb 781 Euro liegt.
Bei Anne Will sitzt im sonntäglichen Polit-Talk Frau Rita Knobel-Ulrich, eine Buch- und Filmautorin, welche eine Reportage über Hartz-IV-Schmarotzer gedreht hat. Ungeheuerlich findet das Herr Geißler, wie man so etwas überhaupt behaupten kann. Wenn es solche Menschen gibt, wieso darf man es dann nicht sagen und zeigen? Es gibt auch Menschen, welche auf Mallorca leben und dennoch aus Deutschland Hartz-IV beziehen. Ist das ebenfalls ungeheuerlich Herr Geißler, wenn man so etwas zeigt? Es behauptet niemand, dass es alle so machen. Das Problem sind auch nicht die (wenigen) Schmarotzer sondern die Tatsache, dass man ohne große Anstrengungen sich im System aus Hartz-IV, Wohngeld, etc. es sich relativ bequem machen kann, sofern man keine Lust auf Arbeiten hat.
Doch ist nun ein Großteil der deutschen Bevölkerung arm oder nicht? Wie definiert man arm? Was nimmt man als Bezugsgröße? Vergleicht man nur die Unterschiede innerhalb Deutschlands oder vergleicht man die Armut mit anderen europäischen Staaten.
Innerhalb Deutschland behaupte ich, dass es absolute Armut de facto nicht gibt. Das Sozial- und Gesundheitssystem ist ausreichend gut und weitläufig. Es steht ein großes Netz aus wohltätigen Vereinen und Hilfsorganisationen zur Verfügung. Wer selbst verschuldet und unverschuldet eine geregelte Arbeit verliert, muss selbst mit Hartz-IV nicht hungern. Klar ist jedoch hingegen, dass Empfänger von Sozialleistungen sich keine großen Sprünge erlauben können. Ein eigenes Auto ist ebenso nicht möglich wie bspw. eine teure Wohnungseinrichtung.
Es gibt immer Personen, welche mehr Geld haben (werden) als andere. Dies weckt Neid und Missgunst. Ebenso führt es dazu, dass sich eine Schere zwischen Wohlhabenden und Minderbemittelten bildet. Je mehr Reiche es gibt, umso ärmer werden im Verhältnis die anderen. Auf dem Papier steigert dies die Armut, doch wie bereits nachgefragt: ab wann ist man arm (dran) und durch was wird Armut definiert?
Ein Blick ins Ausland ist zwar nicht ganz korrekt, doch um den Begriff Armut näher eingrenzen zu können, hilft es ein Stück weit. In Deutschland gibt es weder Slums noch ist die Lage im Gesundheitssektor oder im Bereich Versorgung (Telekommunikation, Strom, Wasser, etc.) alarmierend. In Deutschland stirbt niemand an Unterversorgung bzw. wegen Hunger und das staatliche System aus Bildung und Förderung bietet für alle Personen ausreichende Möglichkeiten.
Und dann gibt es da noch die selbst verschuldete Armut. Die Wirtschaft buhlt mit allen möglichen Tricks um die Gunst der Kunden. Von Ratenzahlungen in allen Variationen bis hin zu „kostenlosen“ Krediten reichen die Möglichkeiten. Dies führt dazu, dass auch Nicht-Zahlungsfähige sich teure Güter leisten. Am Ende droht die Privatinsolvenz und führt ins Abrutschen in die Armut. Die zunehmende Zahl der Privatinsolvenzen verwässert die Statistik der Armut in Deutschland.
Wir haben in Deutschland keine reale Armut, welche man als bedrohlich ansehen möchte. Vielmehr fehlt es dem deutschen Volk an der Akzeptanz, dass wir (schon seit jeher) in einer Mehrklassengesellschaft leben. Es ist zwar ein rühmlicher Versuch unserer Regierung, die Schere zwischen arm und reich wieder schließen zu wollen. Doch der Versuch ist prinzipiell aussichtslos, wie der Blick in andere Länder zeigt.